Samstag, 11. Januar 2014

gefunden auf Disarstars fb-Seite

"Eine Gesellschaft, die von "Outing" und "Geständnis" spricht, outet sich im endeffekt selbst. Sie gesteht sich ein, dass es keinen emanzipativen Umgang mit Geschlecht, Sexualität und Liebe gibt. Das "anders sein" müsse akzeptiert werden, reproduziert letztendlich aber nur die Vorstellung, dass es eben nicht normal wäre. Dieses Phänomen lässt sich gerade im Fußballsport beobachten. Hier besteht ein recht starres Bild, welches einem Spiel (nach 90 Minuten ein Tor mehr geschossen zu haben als der Gegner) "männliche" und "heterosexuelle" Verhaltensweisen zuschreibt. Es widerspricht zwar eigentlich dem kapitalistischen Rationalisierungs-, fungiert aber mindestens genau so gut als Verblendungsprozess und dient zur Vermarktung. Fußballsport als Ware erscheint als naturgegeben.
Die heuchlerische Auseinandersetzung mit der vorherrschenden Diskriminierung endet spätestens dann, wenn es darauf ankommt. Es scheint weder möglich als aktiver Fußballprofi offen mit seiner Sexualität umzugehen, noch wird sich entschlossen positioniert, wenn es um die Ausrichtung der Fußball-WM in Katar geht. Abgesehen von der Absurdität, dass es in diesem Land kein besonders großes Interesse am Fußballsport gibt, trotzdem zahlreiche überdimensionale Stadien von Zwangsarbeitern unter menschenunwürdigen Verhältnissen gebaut werden (mehr als 44 Tote), in denen dann bei 50 Grad Celsius Fußball gespielt werden soll, scheinen Stellung von Frau und Homosexuellen nicht zu interessieren. Die Fifa beruft sich auf ihre unpolitische Stellung und Neutralität, wird dadurch jedoch hochgradig politisch. Gleichzeitig fordert Fifa-Präsident Blatter die Anpassung an das vorherrschende Rechtssystem: “Ich würde sagen, sie sollten sich von sexuellen Aktivitäten fernhalten.” Die Forderung sollte hingegen sein: Ausschluss von Ländern und Verbänden, die es Menschen verunmöglichen wollen Fußball zu Spielen oder zu gucken! Das wäre ein wirkungsvolles Zeichen, lässt sich aber wohl nicht in Einklang mit den vorherrschenden ökonomischen Interessen bringen. Schluss mit dem Quatsch! Fußball ist für alle da! Liebe kennt kein Geschlecht! Deutschland halt's Maul!
 
Ane Razionale"

Kunst der Unterwerfung (Serie: Marxismus und Kunst, Teil 2)

Die Kunst der Unterwerfung - eine Buchrezension. Teil 2 der Serie zu Marxismus und Kunst.

Vor Kurzem ist der Sammelband Ästhetik der Unterwerfung erschienen. In ihm wird die Beziehung der Gegenwartskunst zum Kapitalismus anhand der "Documenta", der weltweit bedeutendsten Ausstellung für moderne Kunst, behandelt.

Herausgeber ist Werner Seppmann, ein Schüler und Mitarbeiter des verstorbenen Ideologiekritikers Leo Kofler. In dieser Tradition behandeln die Beiträge von Seppmann, Thomas Metscher, Heike Friauf und Thomas Richter die Ideologie, die mit der Inszenierung (post)moderner Kunst zusammenhängt. Ihrer Kritik kann man sich getrost anschließen.

Gute und schlechte Kunst

Werner Seppmann (Hrsg.): 
Ästhetik der Unterwerfung. 
Das Beispiel Documenta
ISBN: 978-3-942281-46-1
Erschienen März 2013
Preis: 21 €
248 Seiten

Die "Documenta" sei nach wie vor "eine Institution zur Entsorgung ernsthafter Kunst und eine Flucht vor einer verständigen Auseinandersetzung mit den Gegenwartsproblemen.” Dieses vernichtende Urteil bedarf natürlich einer Begründung. Die Autoren bieten daher zur Bewertung von Kunst einen ästhetischen Maßstab an. Sie postulieren eine Werthierarchie der Kunstwerke und verteidigen damit einen Kanon mit “Meisterwerken” einerseits und mit “misslungener” sowie “falscher Kunst” andererseits. Einen Großteil der Werke auf der "Documenta" halten sie sogar für “Nicht-Kunst”.

Die postmoderne "Nicht-Kunst"


Die Autoren verdammen moderne Kunst nicht an sich. Sie kritisieren einfach nur einfallslose, bedeutungslose und oberflächliche Inszenierungen, die an Kunst erinnern. Die "Documenta" scheint kaum über solch postmoderne Show hinauszukommen. Sie inszeniert, propagiert und verkauft. Vor allem verkauft sie die Welt für dumm. Das Management und die Kunst-Darsteller der Ausstellung haben selbst den Anspruch, gesellschaftskritisch und bewusstseinserweiternd zu sein. Doch wie nah ist der Anspruch an der Realität?

Die spektakuläre und skandalöse Inszenierung der "Documenta" ist dem selben Innovations- und Werbezwang unterworfen wie andere profitorientierte Unternehmen. Der Genuss solcher "Neuerungen" wie die interaktive Möglichkeit, bunte Würfel zu verschieben, weiße Wände zu bestaunen oder sich durch einen kostspieligen Luftstrom begeistern zu lassen, sind ebenso "innovativ" und "bedeutsam" wie der tausendste spektakulär beworbene Joghurtgeschmack oder die neueste Jeans-Form.

Das soll nicht heißen, dass es nicht so viele Geschmäcker geben darf wie Menschen. Es soll nur heißen, dass die "Kunst" auf der "Documenta" auf dem selben infantilen Niveau ist wie eine x-beliebige Werbung für Joghurt. Und sie ist den kapitalistischen Verhältnissen und der bürgerlichen Ideologie ebenso verpflichtet.

Ästhetische Inszenierung und bürgerliche Ideologie


Die ästhetische Inszenierung der "Documenta" ist trotz ihrer Oberflächlichkeit und Bedeutungsarmut nicht frei von ideologischer Wirkung. Sie wirkt ganz im Sinne der bürgerlichen Ideologie des heutigen Kapitalismus. Wenn das Kunst ist, dann ist es eine Kunst der Unterwerfung. Denn mit der ästhetischen Inszenierung der Bedeutungslosigkeit ohnehin alltäglich gemachter Erfahrungen werden mehrere ideologische Effekte erreicht.

Die schaulustigen Betrachter der Inszenierung von Alltagsgegenständen zahlen dafür auch noch Eintritt. Sie erhalten für Geld den Eindruck, dass ihnen (große) Kunst dargeboten wird. Damit verwechseln sie zunächst einmal Kunst mit bloßem Show-Business. Abgesehen davon bestätigt sich für sie, dass (große) Kunst wie alle anderen Bereiche des Lebens im Kapitalismus mit Geld bewertet werden kann. Geld wird zum Maßstab für Kunst.

Die spektakuläre Bewerbung der "Documenta" durch das Event-Management, die "Künstler" und spektrenübergreifende Medien zeigt: Es kommt viel mehr auf die Werbung an als auf das eigentliche Produkt, das ohne Werbung in der Masse untergehen würde. So wird also der geistlose Marketing-Charakter der "Documenta" ein Vehikel, um Begeisterung für alten Wein in neuen Schläuchen sicherzustellen. Denn bei all dem Furor um die Ausstellung findet sich offenbar wider Erwartens wenig Neues. "Ein paar Bienchen, ein paar Schmetterlinge, ein Straßenhund mit pink angestrichenem Bein und schon haben wir die Frage der globalen Ökologie behandelt", so kritisiert H. Friauf. Größe und Bedeutung werden so von Kleinkariertheit und Banalität ersetzt. Die Kunst passt sich also der Gesellschaft an, in der Ski-Unfälle und Skandale von Promis mehr zählen als Weltveränderung.

A propos Weltveränderung: Die "Documenta" beansprucht, kritisch und wachrüttelnd zu sein. Kollagen und Darbietungen erwähnen die großen Probleme der Gegenwart: Umweltzerstörung, Kriege, Ungleichheit und Ungerechtigkeit. Aber die Inszenierung der Problemstellung provoziert keinerlei praktische Veränderung. Die "Nicht-Kunst" führt nicht über den Status Quo hinaus, weil sie nur die Oberfläche und das ohnehin Bekannte darstellt. Elend und Zerstörung sind nichts Neues. Die künstlerische Darstellung dieser Motive muss neue Anregungen provozieren, die neue Ideen oder Emotionen ermöglichen. Wird das nicht erreicht, so ist die Darbietung bedeutungslos. Und auf der "Documenta" wird Inhalt offenbar sehr selten transportiert. Welchen Inhalt sollen auch Holzkonstruktionen transportieren, "die auch als Klettergerüste auf einem Abenteuerspielplatz hätten durchgehen können" (Seppmann)?

Fazit


Der Sammelband ist lesenswert. Die Empörung über die infantile "Nicht-Kunst" der "Documenta" wird dabei ab und an von Schadenfreude unterbrochen. Abgesehen davon gibt es bemerkenswerte Ausführungen zur Problematik von Kultur, Ökologie oder Feminismus im Spätkapitalismus. Der Band liefert darüber hinaus wertvolle Hinweise zur Aktualisierung marxistischer Kunsttheorie.