Donnerstag, 6. Februar 2014

Große Geister und Kleingeister

Große Denker werden spätestens nach ihrem Tod meist entsetzlich entstellt oder vollkommen vergessen. Alles von Format wird formatiert, alles mit Bedeutung umgedeutet. Das geschieht solange bis die Wurzel, der Kern, das radikal Neue an einem Gedanken genauso langweilig gemacht wird wie das lange schon Gewohnte. Der radikale Inhalt wird entleert und entsorgt. Bloß die Hülle bleibt. Es ist wie mit einer Wohnung, von der bloß die Fassade übrig bleibt, während die persönliche Innenarchitektur meist schwindet, sobald ein neuer Geist die Wohnung bezieht.

Die kafkaeske Verwandlung 


Solche Umwandlung ist normal in der Klassengesellschaft, aber in der kapitalistischen Klassengesellschaft nimmt dieser Umwandlungsprozess geradezu perverse, kafkaeske Züge an.

Die Verwandlung von Franz Kafka stellt diese hässliche Wahrheit ganz schön dar. "Als Gregor Samsa eines Morgens aus unruhigen Träumen erwachte, fand er sich in seinem Bett zu einem ungeheuren Ungeziefer verwandelt." Obwohl Gregors Kern als geliebter Sohn der Familie Samsa derselbe geblieben ist, verwandelt er sich für seine Familie in ein ekelhaftes Ungeziefer. Er wird damit in eine neue Hülle gesteckt, die mit seinem Kern nicht mehr viel gemein hat. Zugleich gewöhnt sich die Familie an die neue Hülle Gregors, nur um aus ihm am Ende einen toten Hund (oder Käfer) zu machen.

Hegel, ein toter Hund?


Hegel, der größte Denker unter den Deutschen Idealisten des 19. Jahrhunderts, wurde wie so viele große Denker zum toten Hund erklärt - und das schon zu Lebzeiten! Denn wer die lebendigen Gedanken eines großen Denkers sterilisiert, der behandelt auch den Denkern wie einen kastrierten Hund, der kein Leben mehr schaffen kann. ;-)

Marx hat sich über diese Behandlung Hegels zurecht empört. Ein längeres Zitat mag veranschaulichen, was gemeint ist:

"Meine dialektische Methode ist der Grundlage nach von der Hegelschen nicht nur verschieden, sondern ihr direktes Gegenteil. Für Hegel ist der Denkprozeß, den er sogar unter dem Namen Idee in ein selbständiges Subjekt verwandelt, der Demiurg des wirklichen, das nur seine äußere Erscheinung bildet. Bei mir ist umgekehrt das Ideelle nichts andres als das im Menschenkopf umgesetzte und übersetzte Materielle. Die mystifizierende Seite der Hegelschen Dialektik habe ich vor beinah 30 Jahren, zu einer Zeit kritisiert, wo sie noch Tagesmode war. Aber grade als ich den ersten Band des 'Kapital' ausarbeitete, gefiel sich das verdrießliche, anmaßliche und mittelmäßige Epigonentum, welches jetzt im gebildeten Deutschland das große Wort führt, darin, Hegel zu behandeln, wie der brave Moses Mendelssohn zu Lessings Zeit den Spinoza behandelt hat, nämlich als 'toten Hund'. Ich bekannte mich daher offen als Schüler jenes großen Denkers und kokettierte sogar hier und da im Kapitel über die Werttheorie mit der ihm eigentümlichen Ausdrucksweise. Die Mystifikation, welche die Dialektik in Hegels Händen erleidet, verhindert in keiner Weise, daß er ihre allgemeinen Bewegungsformen zuerst in umfassender und bewußter Weise dargestellt hat. Sie steht bei ihm auf dem Kopf. Man muß sie umstülpen, um den rationellen Kern in der mystischen Hülle zu entdecken."

Seht ihr tote Hunde?


Wie mit Hegel ging man dann auch mit Marx um, sobald er tot war. Aus einer lebendigen Philosophie des größten revolutionären Denkers bis heute wurde ein Idiot gemacht. Man brachte Phrasen über das Hineinwachsen des Kapitalismus in den Sozialismus, über staatliche Allheilmittel und über die naturgesetzliche Unvermeidbarkeit des Kommunismus. Mit Marx hatten diese Ideen nicht mehr viel zu tun. Sowohl die Sozialdemokraten wie auch die Stalinisten "verhundsten" Marx auf solche Weise.

Aber ihre Regierungsgewalt überwältigte auch die schärfsten Kritiker diese Idiokratien, dieser Regierungen der Idioten. Rosa Luxemburg wurde 1919 mit Hilfe der SPD-Bonzen erschossen, Trotzki wurde 1940 von einem Agenten Stalins mit dem berühmten Eispickel erschlagen und Chen Duxiu wurde 1929 für Stalins völliges Versagen in China aus der Kommunistischen Partei Chinas ausgeschlossen, sodass er 1942 relativ ohnmächtig sterben musste. Auch Adorno, Brecht, Einstein, Gramsci, Luxemburg, Marcuse, Zetkin etc. bellten zu laut. Sie alle wurden im Anschluss wie tote Hunde behandelt. Man wollte sie einschläfern, um sie dann auszustopfen. Denn der radikale Kern dieser Denker war gemeingefährlich.

Das ist dem klügeren, gemeinen Bürger bewusst. Er weiß, dass sie die Gemeinheit des Bürgers gefährdeten. Denn sie kritisierten die bestehenden Verhältnisse, die Zwänge, die Unfreiheit, die Unterdrückung, Knechtung, Ausbeutung durch das Bürgertum. Man musste diese Hitzköpfe kalt stellen. Dafür mussten sie also begraben und totgeschwiegen werden. Und wo sie nicht totgeschwiegen werden konnten, hat man sie in totlangweiligen Sendungen totgesagt oder in Grund und Boden geschimpft.

Doch Totgesagte leben länger. Und die Gespenster großer Denker lasten wie ein Alp auf den Schultern der bürgerlichen Gesellschaft. Und sie spuken noch immer, um die Bourgeoisie in Angst und Schrecken zu versetzen.

"'Elwood' wurde 2007 zum 'hässlichsten Hund der Welt' gewählt.
Jetzt ist der Mix aus Chinesischem Schopfhund und Chihuahua gestorben",
so die BILD-"Zeitung", das dreckige Kampfblatt