Donnerstag, 3. Dezember 2015

Der Alte und sein neuer Sohn

Nach dem Sport traf ich gestern Abend auf zwei Männer - einen jungen und einen alten. Der Junge betreute den Alten offenbar, kannte ihn aber erst seit wenigen Stunden. Sein Schützling habe etwas an der Seele. Der Alte war betrunken und nervlich offensichtlich am Ende. Auf meine Frage hin, ob man ihm helfen könne und alles ok sei, kam er aggressiv auf mich zu, wurde aber vom Jüngeren abgehalten. Ich möge bitte den Notruf anrufen, bat letzterer. Ich kam dem nach. Aber der Ältere lehnte ab, mit den Nothelfern mitzukommen. Ich bot an, ein Wasser oder Ähnliches für den Alten zu holen. Aber der Alkohol war gar nicht das Problem, sondern verschlimmerte die Katastrophe nur. Einige Stunden zuvor hatte er seinen Sohn beerdigt, der bloß 12 Jahre alt war. Das war sein dritter verstorbener Sohn, wie er später sagte... Ich schlug vor, dass wir uns in ein Café auf einen Tee hin setzen und ihm zuhören könnten bis es halbwegs besser sei. Beide wollten lieber Bier. Also lud ich sie in dem Dönerladen am Neumarkt auf ein Kölsch ein. Zum Glück bin ich diesen Monat nicht ganz so pleite wie sonst immer. Der Alte erzählte uns unter Tränen seine Geschichte, trug uns zur eigenen Aufmunterung Gedichte von irgendeinem Heinz Erhardt vor (u.a. "Pechmariechen) und wiederholte mehrfach, der Junge sehe wie sein verstorbener Sohn aus, der auch noch den selben Vornamen trage. Zumindest der Zweitname war der selbe wie der Vorname des Verstorbenen. Die Ähnlichkeit des Jüngeren mit dem verstorbenen Sohn sei kaum zu fassen, so der gebrochene Mann. Er schluchzte, mit dem demütig nach unten zum Tisch gesenktem Kopf, während der Junge dessen leicht verletzte Hand mit beiden Händen fest hielt. Dieser schlich irgendwann - offenbar völlig überfordert - unmerklich hinaus, während ich noch vor dem weinenden Mann saß, um ihn zu beruhigen. Aber er beruhigte sich kaum. Die Flucht seines neuen Sohnes ohne Verabschiedung machte ihm zu schaffen. Er sprach davon, abtreten zu wollen. Er halte sein Leben nicht mehr aus. Und er werde den Jungen, der wie sein Sohn aussehe, nie wieder sehen. Auf dem Weg zum HBF sang er mir ein Lied auf Hebräisch und eines auf Englisch vor - und kippte um. Ich rief wieder die Notärzte. Diesmal nahmen sie ihn mit.


Das Pechmariechen


Zu Ostern in Hersfeld die Mutter spricht:
"Bald ist es Zeit für's Festtagsgericht.
Drum geh' meine Tochter hinab in den Keller
und fülle mit Sauerkraut, hier, diesen Teller."
(Jetzt ist die Tochter dran.)
"Oh Mutter, oh Mutter mir träumte neulich
von einem Mann, der Mann war abscheulich.
Lass' uns den Keller vergessen,
woll'n wir was anderes essen."
(Wieder die Mutter)
"Mein Kind, mein Kind ich seh' es genau.
Du kommst in die Jahre, wirst langsam Frau.
Siehst überall Männer, die lauern.
Geh' hol' von dem Kraut, dem sauern."

Die Tochter tut es. Sie gehet hinab.
Hinab in den Keller, der finster wie's Grab.
Sie füllet den Teller, den Teller aus Blech;
doch solang' sie auch füllt, es kommt kein Mann
so'n Pech.....

(...drum Pechmariechen)