Samstag, 12. Dezember 2015

Die Hetze ist gewaltig im Schlande oder: Solidarität mit vereinzelten Friedensaktivisten und Linkspopulisten

Die Hetze ist gewaltig im Schlande. Nach und nach werden Pazifisten und Friedensaktivisten diffamiert, um sie zu schwächen und zu isolieren. Denn die Bundeswehr wird seit Jahren auf Angriffskriege umgestellt und die Regierung braucht dafür die Rückendeckung der in Panik versetzten Bevölkerung. Es erinnert an das Vorgehen damals im Jugoslawien-Krieg als perfider Weise behauptet wurde, man müsse einen (Angriffs-)Krieg gegen einen neuen Hitler in Serbien (Milosevic) führen, um einen zweiten Holocaust in Europa zu verhindern. Damals ließen sich Sozialdemokraten und Grüne von dieser Wahnidee erfassen und legitimieren seither immer wieder eine aggressive Außenpolitik Deutschlands, der EU und der NATO. Ein Teil derjenigen, die sich als links verstehen, folgten dieser Argumentation. Und auch heute lassen sich Teile der Linken von den herrschenden Ideen voll und ganz aufs Glatteis führen, indem sie ebenso mithetzen - für Krieg oder zumindest gegen Friedensaktivisten. Und die Medien- und Meinungsmacher freuen sich gewiss. Dann unterstellt man auch noch einem deutschen Juden, der zufällig solidarisch und befreundet ist mit dem Sänger, Christen und pazifistischen Populisten Xavier Naidoo, dass er sich von ihm distanziert habe. Alles nur, um ehrliche Menschen medial auszuschalten.

Was sagt der Mann selber? Marek Lieberberg korrigiert die Darstellung der Medien über ihn und Naidoo:

Lieberberg: Ich distanziere mich überhaupt nicht von Xavier Naidoo. Das habe ich auch nie in irgendeiner Form geäußert. Er ist mein Künstler, mit dem ich seit mehr als zwanzig Jahren sehr vertrauensvoll und freundschaftlich kooperiere. Den ich nach wie vor sehr schätze, mit dem ich gerne weiter zusammenarbeite. Es wurden Dinge völlig aus dem Zusammenhang gerissen und in einen neuen Kontext gestellt. Und meine klaren Antworten falsch interpretiert.
... 
Ich habe mich an gewissen Textstellen gerieben. "Muslime tragen den neuen Judenstern", diese Aussage hat mich irritiert. Weil Xavier eine nach meiner Auffassung falsche Parallele zog.
... 
Wir haben in aller Ruhe und Freundschaft darüber diskutiert. Er hat meine Meinung zur Kenntnis genommen. Aber er sieht die Welt mit seinen Augen und seinem Glauben. Und er verspürt eine Verpflichtung, seine Wahrnehmung zum Ausdruck zu bringen. Er hat sich auf ermordete Muslime bezogen, seine Ansicht begründet er mit Forderungen des amerikanischen Präsidentschaftskandidaten Donald Trump, der ja jüngst eine Kennzeichnung von Muslimen gefordert hat. Xavier und ich finden in diesem Punkt möglicherweise zu keinem Konsens. Aber es ändert nichts an meiner Gewissheit, dass Xavier weder homophob noch anti-jüdisch oder antisemitisch ist. Ja, es gibt einige wenige ambivalente Textstellen, z.B. als Xavier Naidoo in "Raus aus dem Reichstag" sang, dass "Baron Totschild" den Ton angibt.

Kriegs... eh, Verteidigungsministerin
von der Leyen (CDU) schwört uns auf
einen völkerrechtswidrigen Angriffskrieg
der Bundeswehr gegen Syrien und weitere
Maßnahmen gegen Störenfriede und
Friedensliebende ein
Nun gut. Ein kluger Mann, der selbst jüdischer Herkunft/Religion ist, unterstützt kritisch-solidarisch den Pazifisten, Liebesprediger und Christen Xavier Naidoo, dem man systematisch Antisemitismus, Verschwörungstheorien, Homophobie, Menschenhass etc. nachzuweisen bemüht ist, aber doch irgendwie daran scheitert. Dass Nazis Naidoo nicht ab können, dürfte nicht wundern. Er ist schwarz, er tritt seit langem auf antifaschistischen Konzerten auf, macht offen linkspopulistische Lieder, kritisiert scharf den Rassismus der weißen Mehrheitsgesellschaft und und ist gegen Krieg. Klar hassen ihn Nazis. Dass ihn sogenannte "Antideutsche" hassen, ist auch klar, denn sie hassen jeden, der halbwegs verständliche Kapitalismuskritik formuliert und Massen politisiert und mobilisiert. Dass Grüne, Sozialdemokraten, Christdemokraten und so weiter Naidoo hassen, dürfte ebenfalls nicht wundern, sind ihre Führungen doch Kriegstreiber und keineswegs christlich motiviert. Meist sind sie auch noch biodeutsch und teils sogar rassistisch und antisemitisch wie etwa der überzeugte Sozialdemokrat Thilo Sarrazin, den die SPD auf keinen Fall rausschmeißen möchte. Innerhalb der SPD darf nämlich Rassismus und Antisemitismus vertreten werden, wenn man ein Bänker ist und der SPD dient. Wenn man aber Banken kritisiert und den allgemeinen Rassismus im Land, dann ist man für die SPD ein ganz Böser. Soweit so schlimm.

Aber auch innerhalb der Linkspartei und innerhalb linker Kreise wird Xavier Naidoo teils genauso platt betrachtet. Welche linken Kreise sind das? Eher die wohlsituierten, nicht-migrantischen, weißen, biodeutschen und an politischer Karriere orientierten Genossen und Genossinnen. Oder Linksradikale, Autonome, sogenannte "Antinationale" und theoretisch wenig geschulte Menschen, die bauchlinks sind, aber nicht couragiert genug, um jemanden wie Naidoo vor Verleumdung zu verteidigen. Man hetzt lieber mit, so als würde das die Popularität der Linken stärken. Man passt sich den herrschenden Ideen an, man biedert sich an. Das funktionierte schon 1914. Damals biederte sich die noch linke SPD den Herrschenden an und stimmte für die Kriegskredite. Nur die wirklich gut geschulten und proletarisch orientierten Milieus in der SPD bekämpften diesen Opportunismus. Heute gibt es nicht einmal solch eine Opposition von links, die eine neue linke Partei gründen könnte, wie etwa damals Rosa Luxemburg, Karl Liebknecht und ihre engsten Genossen und Genossinnen. Heute gibt es zwar die Linkspartei, die sich prinzipiell gegen den Krieg stellt, die aber von Kriegsfreunden und heimlichen SPD-Anhängern infiltriert ist und sich nicht traut, eine mutige und konsequente Friedensbewegung aufzubauen. Einige Teile dieser Partei wollen unbedingt regierungsfähig werden und Mehrheiten gewinnen, ohne den Kapitalismus dabei zu bekämpfen. Und sie geben die dominanten Ideen innerhalb der linken Szene in Deutschland vor. Damit prägen sie auch den linken Flügel der Linkspartei und die Gruppen links von dieser Partei, also die Linksradikalen und Marxistinnen.

Auch die besser geschulten Marxisten haben Abscheu vor Menschen wie Naidoo oder Ken Jebsen, die beide eine diffuse, linkspopulistische Kritik an der heutigen Gesellschaft und Politik formulieren und eine uneindeutige Perspektive fördern. Sie verkörpern eine Mischung aus Popularität und linker Kritik, die breite Massen erfassen kann. Das ist daher der Linkspopulismus, vor dem die Herrschneden in Europa große Angst haben müssen. Während der Rechtspopulismus nämlich keine Lösung bieten kann für die gesellschaftlichen Probleme und den Kapitalismus nicht ernsthaft angreifen kann, außer mit einem ausufernden Krieg vielleicht, kann der Populismus von links beides leisten, sofern er die Massen wirklich erfasst und von einer intelligenten Strategie begleitet wird. Die Ideen der Herrschenden würden einem linkspopulistischen Projekt schnell weichen, wenn die Linke im Land nicht so elitär, konservativ und sektiererisch wäre wie sie leider momentan noch ist. Unglücklicherweise verzichtet die deutsche Linke auf den Kampf um die Hegemonie.

Das Tragische ist dabei, dass gerade in einer Zeit, in der die Vernetzung von Teilen des Staates mit den Neonazis von der NSU immer offensichtlicher wird, in der die Hetze gegen Geflüchtete, gegen die Russen, Griechen, Moslems etc. eine lange nicht mehr gesehene Zuspitzung erfährt, sogar Antikapitalisten zu bewussten und unbewussten Anhängern der herrschenden Meinungen werden. Lächerlich wird es, wenn biodeutsche Parteimitglieder einer Partei, die Kriegstreiber und SPD-Liebhaber duldet, und die den Mittelschichten entstammen - ganz gleich, wie links sie vorgeben zu sein - gerade einem Pedram Shahyar, einem Ken Jebsen oder einem Xavier Naidoo - alle mit migrantischen Hintergrund und linkspopulistisch und friedenspolitisch engagiert - unterstellen, Rassisten, Neurechte oder Querfrontler zu sein. "Ist es nicht die eigentliche Krise, dass man sich auf seine eigenen Leute nicht mehr verlassen kann?", fragte Ken Jebsen mit Bezug auf die deutsche Linke. Ja, das ist die eigentliche Krise. Stimmt, lieber Ken.

Die Hetze ist gewaltig im Schlande - und es ist Zeit, ihr etwas entgegenzusetzen, was über die linken Minizirkel hinausgeht: Eine populäre Massenbewegung, die sich gegen Krieg, Rassismus, Antisemitismus, Sexismus, Homophobie und den Kapitalismus als Ganzes stellt. Solange die Linke sich nicht von den Ideen der Herrschenden löst, wird sie diese Aufgabe nicht lösen können. Aber wenn das Herz links schlägt, dann stirbt auch die Hoffnung in die Linke zuletzt.