Freitag, 12. August 2016

Mike Nagler: Stellungnahme

Mike Nagler
Mike Naglers Stellungnahme vom 13. Juli deckt sich inhaltlich völlig mit der hier vertretenen Auffassung, ist aber wesentlich klarer und schöner geschrieben. Daher im Folgenden die gesamte Stellungnahme von Mikes Blog gespiegelt:

Stellungnahme


Aufgrund aktueller Diskussionen um meine Person möchte ich zu gewissen Vorwürfen und kritischen Kommentaren, die meine politische Arbeit betreffen, Stellung nehmen.

Die Existenz von verschiedenen Blogeinträgen und Artikeln im Internet hat dazu geführt, dass meine Äußerungen, meine Aktionen und nicht zuletzt auch meine Intentionen von einigen Personen meiner Meinung nach fehleingeschätzt wurden und werden. Ich war bisher der Auffassung, dass sich solche Unklarheiten über meine politische Positionierung in persönlichen Gesprächen besser klären lassen als auf schriftlichem Weg, doch die Erfahrungen der letzten Wochen haben die Notwendigkeit einer solchen Stellungnahme verdeutlicht. Dies vor allem deshalb, da ich mittlerweile sehe, dass meine Person wie auch meine Arbeit weiterhin gezielt diffamiert werden und dies Spaltungen in einigen Netzwerken herbeiführt und wohl auch herbeiführen soll. Maßgeblich geht es hier um mein friedenspolitisches Engagement vor zwei Jahren, zu welchem aber auch heute noch diverse Artikel veröffentlicht werden, die mir u.a. „Querfrontbestrebungen“, „Rechtsoffenheit“, „Antisemitismus“, „Verschwörungstheorien“ und noch weiteres andichten. Ich hoffe, dass die Schreiber/innen und die Rezipienten ihre bisherigen Aussagen und Auffassungen überdenken und sie gegebenenfalls revidieren.

Ich bin seit knapp 16 Jahren in Leipzig politisch aktiv und setze mich lokal wie überregional für eine gerechtere Welt ein, indem ich mich für den Erhalt öffentlicher Daseinsvorsorge (u.a.), entwicklungspolitische Bildungsarbeit (u.a.), gegen die Ökonomisierung der Hochschulen, für Umverteilung von oben nach unten, für Regulierungen der Finanzmärkte (u.a.), Steuergerechtigkeit, Entmilitarisierung, Abrüstung und Frieden stark mache. Mein Engagement wendet sich immer auch gegen Nazis und Rechtspopulist/innen, gegen Chauvinismus, Rassismus, Antisemitismus, völkische Ideologien und sonstige Positionen der Ungleichwertigkeit oder gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit.

Trotzdem wurde in der Vergangenheit der Vorwurf laut, dass ich eine sogenannte „Querfront“ unterstützen und damit „zur Verbreitung von Ideologien der Ungleichwertigkeit beitragen” würde. Menschen, mit denen ich politisch zusammenarbeite und die mich seit Jahren kennen, können diesen Vorwurf nicht nachvollziehen. So hat z.B. attac Leipzig deutlich gemacht, dass mit Blick auf meine Person „kein Zweifel an seiner klaren Abgrenzung zu rechtem, rechtsoffenem oder anderweitig antiemanzipatorischem oder menschenfeindlichem Gedankengut“ besteht.

Im Frühling 2014 haben sich einige Menschen in Leipzig wie auch in anderen Teilen des Landes aufgrund der Kriegshandlungen in der Ukraine auf die Straße begeben. Die berechtigte Sorge um das Aufflammen von Kriegshandlungen nach der Nichtunterzeichnung des Freihandelsabkommens mit der EU durch die ukrainische Regierung und die einseitige Darstellung in einer Vielzahl von großen Medien brachte viele Menschen dazu, für Frieden zu protestieren.

In einer Stellungnahme vom Mai 2015 von Leipziger Courage-Preisträger_innen zur Leipziger Friedensbewegung (LINK) geht es um deren Beteiligung (meine sehe ich hier eingeschlossen) an den Leipziger Montagsmahnwachen sowie am sogenannten Friedenswinter 2014/2015. (Der Vollständigkeit halber hier die spontane, in ähnlicher Sprache verfasste Reaktion von einigen Aktiven LINK, die ich heute aus sprachlichen, nicht aus inhaltlichen Gründen anders formulieren würde.)

An den Montagsmahnwachen haben tatsächlich auch Leute mit kruden Ansichten teilgenommen. Diese waren in Leipzig jedoch kaum sichtbar und spielten keine einflussreiche Rolle. Wegen Differenzen über die basisdemokratische Ausgestaltung und weil diese Leute ein Problem mit der klaren inhaltlichen Ausrichtung der Leipziger Montagsmahnwache hatten (“Nie wieder Krieg, nie wieder Faschismus!”), kam es bald zur Abspaltung. Das genannte Motto war ab der dritten Mahnwache auf dem großen Frontbanner der Montagsmahnwachen zu lesen und wurde damals von mir zusammen mit anderen angefertigt und genau deswegen gut sichtbar mitgeführt und bei den Kundgebungen gezeigt, um Leute mit rechtem Gedankengut fernzuhalten. Dass auf der Leipziger Mahnwache kein Platz für Rassismus, Antisemitismus oder menschenfeindliche Positionen sein darf, ist immer Konsens in der Vorbereitungsgruppe gewesen und wurde auf jeder Mahnwache am Mikrofon betont.

Dennoch war die mediale Darstellung der Mahnwachen derart negativ, dass das friedenspolitische Engagement nicht nur unterging, sondern letztlich auch generell nachhaltig geschwächt wurde. Versuche einer differenzierten und sachlichen Auseinandersetzung wurden nicht gehört, sondern die berechtigte Kritik an einzelnen Akteuren wurde auf die gesamte Friedensbewegung angewendet. (Hier der Aufruf den wir damals geschrieben haben gegen die pauschale Verurteilung der Mahnwachen. LINK)

Ob meine Teilnahme an den Montagsmahnwachen in Leipzig und dem bundesweiten Friedenswinter ein taugliches Mittel gewesen ist, dem Thema Frieden und Entmilitarisierung zu der Aufmerksamkeit zu verhelfen, die es verdient und nötig hat, mag man unterschiedlich beurteilen. Aus meiner Sicht überwiegen die positiven Effekte durch die neu gewonnenen, sehr aktiven Personen. Dennoch muss auch gesagt werden, dass sich durch die Angriffe auf die Mahnwachen und die Verurteilung viele Menschen, die sich das erste Mal in ihrem Leben engagiert haben, in die politische Passivität zurückgezogen haben, was ich zutiefst bedauere. Ich denke, dass politische Arbeit und die Teilnahme an Protesten immer auch Bildungsarbeit ist, um möglichst viele Menschen und besonders jene, die politisch bisher nicht aktiv waren, für existierende Probleme zu sensibilisieren. Dass dazu auch Diskussionen mit Andersdenkenden gehören, liegt in der Natur der Sache und ist auch ihr Sinn. Denn eines ist klar: Wenn ich etwas verändern möchte in einer Gesellschaft, – und diesen Anspruch habe ich -, dann muss ich auch und gerade mit Menschen sprechen, die nicht meine Überzeugung in allen Punkten teilen. Daher habe ich die Mahnwachen immer auch als Bildungsprojekt gesehen, um möglichst viele für ein differenziertes und emanzipatorisches politisches Bewusstsein und Engagement zu gewinnen. Ich finde, man muss mit den Menschen offen und ehrlich reden, diskutieren und widersprechen. Das heißt gelebte Pluralität von Meinungen bei gleichzeitiger deutlicher Ablehnung jeglicher Form menschenfeindlicher Einstellungen.

Durch die frühen medialen Angriffe auf die Mahnwachen und die damit einhergehende Schwächung jeglichen friedenspolitischen Engagements wurde aus meiner Sicht eine der Grundlagen für das Entstehen von rassistischen Mobilisierungen wie Pegida gelegt. Beachtliche Teile fortschrittlicher, emanzipatorischer oder linker Kräfte waren nicht in der Lage, die Friedensmahnwachen ernst zu nehmen und inhaltlich zu begleiten. Von Vielen wurde stattdessen eine passive Rolle eingenommen, in der man seit anderthalb Jahren nur noch reagiert und sich bspw. beim (wichtigen) Engagement gegen Legida von rechts den Takt vorgeben lässt, ohne aber die Ursachen zu benennen und die soziale Frage zu stellen, geschweige denn in eine aktive Rolle zu kommen.

Bedauernswerte Folge der Mahnwachen und des Umgangs mit ihnen ist, dass ein vergiftetes Klima innerhalb von Bewegungen und Bündnissen entstand, das alle Beteiligten viel Kraft und Zeit gekostet hat und noch immer kostet – Kraft und Zeit, die in der wichtigen Aufklärungs- und Protestarbeit fehlt. Wenn ich auf die teils vorwurfsvollen und beleidigenden Anwürfe nicht immer sachlich und ruhig reagiert habe, dann bedauere ich das.

Ich werde mich aber entsprechend meiner Überzeugung auch weiterhin gegen neoliberale Denkstrukturen, Krieg und Rassismus engagieren. Gerade in einer Zeit, in der die Bundesregierung sich nicht zu schade ist, genau am 75. Jahrestag des faschistischen Überfalls auf die Sowjetunion eine Pressemeldung mit Kanzlerinnenzitat herauszugeben, in der vor „der Bedrohung von außen“ gewarnt wird und in der ein beispielloses Aufrüstungsprogramm für die Bundeswehr angekündigt wird (LINK), – in einer Zeit, in der Geflüchtete, anstatt ihnen Schutz und Willkommen zu bieten, gezielt zur Projektionsfläche für soziale und wirtschaftliche Ungerechtigkeiten und Probleme gemacht werden, – in einer solchen Zeit ist es gerade notwendig, antirassistisches und friedenspolitisches Engagement zu verstärken. Mit einer starken Friedensbewegung wäre ein solches Aufrüstungsprogramm und die Aushöhlung der Asylgesetzgebung in dieser Form nicht möglich gewesen. Wenn man es ehrlich meint, dann reicht es eben nicht aus, gegen Pegida auf die Straße zu gehen und „Haut ab!“ zu skandieren. Die Frage nach den Verhältnissen, die dazu führen, dass Menschen für rassistische Parolen empfänglich werden, muss in den Mittelpunkt gerückt werden. Verhältnisse wie Arbeitslosigkeit, Perspektivlosigkeit, wachsende soziale Ungleichheiten usw. sind eine entscheidende Ursache für die Verführbarkeit von Menschen mithilfe einfacher rassistischer Formeln. Das lehrt die Geschichte und das kann man heute wieder beobachten. Aber auch heute scheinen die Einen diese Debatte nicht zu wollen, weil sie fürchten, das könne als Entschuldigung für rassistische Gewalttaten betrachtet werden, während die Anderen diese Diskussion nicht wollen, weil sie mit gutem Grund fürchten, sie würde zu einer Kritik an den herrschenden politischen und ökonomischen Verhältnissen führen.(LINK)

Nun noch zu den Ereignissen in Verbindung mit dem Arbeitskreis Nahost der SDS Hochschulgruppe Leipzig im März 2015: Es gibt hierzu Falschaussagen im Netz, die mich als „Mitglied des AK Nahost“ bezeichnen. Ich bin kein Mitglied des AK und war als interessierter Gast auf den damaligen Veranstaltungen zur Buchmesse, und im Nachgang der beiden Veranstaltungen waren Fehldarstellungen der dortigen Ereignisse im Netz zu finden, auf die ich als anwesender Beobachter mit einem Kommentar reagiert habe. (LINK)

Einige Mitglieder des AK, die sich im Übrigen wissenschaftlich mit dem Thema auseinandersetzen, kenne ich durch meine politische Arbeit schon seit längerem. Meines Erachtens werden dort bestimmte Aspekte der Israel/Palästina-Problematik differenziert aufgearbeitet. Antisemitismus – in welcher Form auch immer – ist meinen politischen Ansichten fern und in seiner Gefährlichkeit und seinen Ausprägungen wichtiger Teil meiner Aufklärungsarbeit. Das heißt für mich nicht, dass eine Kritik an der aktuellen Politik der israelischen Regierung in Bezug auf ihre konservative, neoliberale und teilweise militaristische Ausrichtung antiisraelisch oder gar antisemitisch wäre.

Abschließend möchte ich noch darauf verweisen, dass derartige Angriffe nicht neu sind, sondern auch eine Methode um Engagement zu diskreditieren und zu schwächen. So wurde in der Vergangenheit bspw. mehrfach versucht, Aktivitäten von Attac zu schwächen, indem man Organisationen und Personen gezielt versuchte, mit Kampfbegriffen wie bspw. „Querfront“, „verkürzte Kapitalismuskritik“, „Anschlussfähigkeit nach rechts“ usw. zu belasten.

Schaut man genauer hin, dann erkennt man, dass diejenigen, die diese Vorwürfe erheben, häufig erstaunlicherweise tatsächlich antisemitische Argumentationsmuster bedienen, indem sie berechtigte Kapitalismuskritik, – Kritik an Konzernen und Banken, Kritik an der Akkumulation von Kapital, an CETA und TTIP, Kritik an der NATO usw. – umcodieren als Kritik an einzelnen Personengruppen wie „Managern“, „Bankern“ oder auch Menschen jüdischen Glaubens. Das ist eine mehr als nur problematische Umdeutung, die letztendlich der Lösung der existierenden sozialen Probleme entgegensteht, sie verzerrt und einer potentiell schlagkräftigen Linken ins Genick schlägt. Wer sich hierfür mehr interessiert, dem empfehle ich u.a. das Buch „Rufmord – Die Antisemitismuskampagne gegen Links“ vom vergangenen Jahr. [LINK]

Ich hoffe, mit den Ausführungen meinen Standpunkt deutlich gemacht zu haben. Falls jemand hierzu noch Fragen oder Anmerkungen hat, so bitte ich um direkte Kontaktaufnahme mit mir.

Weil’s irgendwie dazu passt. ;)

Marx - Jeder Schritt wirklicher Bewegung